PB028: Jugendliche beteiligen sich mit Computerspielen an der Stadtentwicklung

Shape the Future-Logo, nicht unter freier Lizenz.
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#pb21-Podcast mit Tobias Thiel und Michael Grunewald vom Projekt Shape the Future

Können sich Kinder und Jugendliche durch Computerspielen an der Stadtentwicklung beteiligen? Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingen mag, haben die Bildungsreferenten Tobias Thiel und Michael Grunewald ausprobiert und berichten im Gespräch mit Guido Brombach von tollen Erfahrungen mit Minecraft und den Sims.

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Shape the Future
Dieser Podcast ist einer von vier Podcasts über den Projektverbund Shape the Future. Weitere Infos und die Vorstellung aller Projekte sind auf der Projekt-Homepage zu finden.

Im Rahmen von Shape the Future hat Tobias Thiel mit 14- bis 16-jährigen Jugendlichen überlegt, wie sich die Region Wittenberg entwickeln müsste, damit nicht ein Großteil der dort aufgewachsenen Menschen aus der Region wegzieht. Tobias Thiel hat das Computerspiel Minecraft dazu genutzt, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und sie ihre Wünsche visualisieren zu lassen. Auf Grundlage dieser Zukunftsvisionen wurde dann das Gespräch mit Verantwortlichen aus Politik, Bildung und Wirtschaft gesucht. Minecraft ist mit einer unerschöpflichen Kiste von Legosteinen vergleichbar. Die Spieler haben die Möglichkeit, mit kleinen Würfeln eigene Welten zu erschaffen. „Das lässt unheimlich viele Möglichkeiten und ist ganz spannend für die politische Bildung.“ schwärmt Tobias Thiel. Die Jugendlichen könnten ganz frei arbeiten und ihre Fantasien seien tolle Grundlagen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Innerhalb des Projekts sollten die Jugendlichen an drei Tagen Ideen für ihre Wunschstadt entwickeln und umsetzen. Zunächst ging es um die persönlichen Traumhäuser und am zweiten Tag um öffentliche Einrichtungen. Die Jugendlichen entwickelten zum Beispiel Schwimmhallen mit dauerhaft geöffneten Türen und Ratsversammlungen, die direkt mit einem Jugendclub kombiniert sind. Der letzte Tag wurde dann Infrastrukturen gewidmet: Welche sind nötig? Wie bewegen sich die Menschen in der Stadt? Wie sind die Gebäude zueinander angeordnet? Ausgehend von den Ideen der Jugendlichen wurde dann diskutiert, was die Ergebnisse konkret für die Region Wittenberg bedeuten. Die Ergebnisse der Arbeit von Tobias Thiel und seinen Jugendlichen sind im YouTube-Kanal der Jungen Akademie Wittenberg zu sehen.

Ein ähnliches Projekt setzte auch Michael Grunewald mit Kindern im Alter von elf bis zwölf Jahren um: Im virtuellen Puppenhaus der Sims 3 erstellten die Kinder Häuser, in denen sie in 20 Jahren gern leben würden. Gemeinsam wurde dann diskutiert, wie diese einzelnen Häuser als Gemeinschaft angeordnet sein könnten. Da dies im Spiel nicht möglich ist, arbeiteten die Kinder mit Stift und Papier weiter. Als Ergebnis dieser Arbeit erstellte die Gruppe Machinimas. Diese Filme, die mit Hilfe des Computerspiels produziert werden, sind im YouTube-Kanal von Michael Grunewald (mgnetz) zu sehen.

Video „Wohnideen 2025“ von Michael Grunewald, nicht unter freier Lizenz

Michael Grunewald hat mit seinen Jugendlichen im Anschluss an die kreative Arbeit das Stadtplanungsamt besucht, wo ihnen erklärt wurde, wie reale Stadtplanung funktioniert. Die Projektteilnehmer von Tobias Thiel haben ihre konkreten Vorschläge für Wittenberg Stadtplanern und Vertretern des Landrats vorgestellt und sie gebeten zu prüfen, welche Vorschläge realisiert werden können. „Wir haben das Erarbeiten im Spiel gemacht, im digitalen Medium. Dann haben wir den Transfer im realen Leben gemacht, als ganz praktische Begegnungsveranstaltung zwischen Jugendlichen und Verantwortlichen aus unterschiedlichen Bereichen“, berichtet Thiel.

Tobias Thiel
Tobias Thiel ist Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Seine Arbeit befasst sich mit Themen der Medienpädagogik und politischer Bildung und Partizipation für Kinder und Jugendliche

Michael Grunewald
Michael Grunewald ist Referent für Technik am Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der evangelischen Landeskirche Hessen / Nassau. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Kommunikationstechnologien und ist Fachmann für Computerspiele.

Sowohl Tobias Thiel als auch Michael Grunewald betonen die besondere Katalysatorfunktion der Computerspiele in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Die Spiele sind für die jungen Menschen ein attraktives Medium, mit dem sie ihre Wünsche und Vorstellungen visualisieren können. Tobias Thiel beschreibt: „Da wird ganz viel übertragen, was die Jugendlichen im realen Leben wissen. Im Spiel können sie sich ausleben, und die Gruppe kommt darüber ins Gespräch.“ Dabei diskutierten die Jugendlichen von sich aus politisch interessante Themen, die bei klassisch textbasierter Arbeit mühsam initiiert werden müssten. Begünstigt wurde dieses unter anderem aber auch durch die Themenwahl: „Die Stadt als Lebenswelt und Dinge, die einen persönlich dort stören, sind Erfahrungen, die die Jugendlichen mitbringen.“ An diesem Beispiel könnte gut verdeutlicht werden, dass Dinge sich ändern und die Wünsche Jugendlicher gehört werden können.

Michael Grunewald und Tobias Thiel können zahlreiche Kompetenzen auflisten, an denen die Jugendlichen während der Projektarbeit gearbeitet haben. Da sind zunächst technische Fähigkeiten, wie das Erstellen von Videos oder die Vertonung dieser. Auf der anderen Seite haben die Jugendlichen Dinge miteinander ausgehandelt und Konflikte gelöst. Tobias Thiel berichtet fasziniert: „Über dieses Spiel und die Reflexionen sind sie sprachfähig geworden. Die Jugendlichen haben super Präsentationen für die Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft gemacht. Es hat mich sehr beeindruckt, dass das wirklich so geht.“

Eine interessante Erkenntnis für Michael Grunewald in seinem Projekt war außerdem, dass die Kinder selbst das gewonnene Wissen über reale Stadtplanung als spannendsten Teil des Projekts wahrgenommen haben. Das eben nicht nur das Spielen für die Kinder im Vordergrund steht, sollte auch Kritiker besänftigen. Bei so vielen positiven Erfahrungen in ihren Projekten bedauern die beiden Initiatoren letztlich nur, dass die tolle gemeinsame Arbeit kein anhaltendes politisches Engagement der Kinder und Jugendlichen garantiert.


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Tessa hat im August 2013 ihr Lehramtsstudium mit den Unterrichtsfächern Mathematik und Sport an der Universität Hamburg abgeschlossen. Sie hat sich während des Studiums insbesondere mit alternativen Formen von Schule und Lernen auseinandergesetzt. Die Verbindung von Lernen und Digital gehörte zu ihren liebsten Themen, was im Experiment gipfelte, das Studium papierfrei und iPad-zentriert abzuschließen. Tessa beschäftigt sich nun ohne Uni und Schule weiter mit diesen Themen.