Selbstaufmunterung 2.0 – E-Mail an das künftige Selbst

Foto „Maryann Gets A Letter“ von  <a href="https://www.flickr.com/photos/feverblue/1007881390/in/photolist-2x4E2m-dL4ipj-7PYmm" title="Zur Bildquelle auf flickr">Will Keightley</a> unter <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/" title="Zum Lizenztext">CC BY SA 2.0</a>.
Foto „Maryann Gets A Letter“ von Will Keightley unter CC BY SA 2.0.

Lernen und sich bilden fängt mit einem Vorsatz an: Zukünftig jemand zu sein, der/die etwas Bestimmtes weiß oder kann. Einen Lieblingssong auf der Gitarre begleiten können. Oder verstehen, wie deutsche Steuerpolitik und europäische Finanzkrise grundsätzlich zusammenhängen. Oder ein eigenes Blog schreiben, das die Leute gern lesen.

Das Problem ist natürlich, dass meistens der Faden reißt. Irgendwie bleibt man stecken, und am Ende ist man wieder ein kleines bisschen resignierter geworden. Um das zu verhindern gibt es kleine Tricks zur Selbstüberlistung wie den „Brief an mich selbst“.

Was bisher handschriftlich geschah, meistens als pädagogisch verordnete Motivationsmethode in Seminaren mit Selbsterfahrungseinschlag, gibt es nun auch im Internet. Online-Dienste wie 43Things bieten nicht nur an, sich ein Ziel zu setzen und sich dann Erinnerungsmails schicken zu lassen. Sie machen daraus auch eine soziale Netzwerk-Erfahrung.

Ich ist ein Anderer

Bei der „Brief an mich selbst“-Idee geht es darum, sich von sich selbst zu distanzieren. Um den kleinen verblüffenden Impuls auszulösen, muss die selbstgeschriebene Botschaft sich so anfühlen, als käme sie von außen. Daraus ergeben sich zwei Probleme:

Die einfachste Version braucht eine andere Person, die den Brief dann wirklich losschickt. In der Regel ist das die Seminarmoderation oder der Lehrer. Aber dieses Angebot ergibt sich natürlich sehr selten. Zweitens geht die Aktion dann nicht von den LernerInnen selbst aus. Leicht kommen dabei sehr Über-Ich-lastige Briefe wie dieser heraus, die ihr Ziel garantiert verfehlen, weil dort mit verstellter Stimme gesprochen wird. (Reale Schüler schreiben sich eher so.)

Das Internet bietet dagegen eine simple Art, den Vorgang zu automatisieren und zugleich zu personalisieren. (Tatsächlich sind das Web 2.0 und die sozialen Netzwerke insgesamt nicht zuletzt ein kollektives Selbstgesprächs-Medium, in dem alle sich gegenseitig Impulse geben.)

„Kein Brief ist auch keine Lösung“

Das ist der Untertitel der Gratis-Website www.brief-in-die-zukunft.de. Sie bietet die einfachst mögliche Lösung: Man schreibt in das Formular seine E-Mail-Adresse, eine Nachricht ins Mailformular und stellt das Datum für die Zustellung der Mail ein. Das war‘s schon. Man kann dann noch entscheiden, ob man die eigene Nachricht öffentlich machen will (ohne Mailadresse und Namen). Das hat durchaus einen Sinn: Allein dadurch, dass er im Netz steht, sichtbar für die Welt, hat der eigene Vorsatz gleich ganz anderes Gewicht.

Aber diese öffentlichen Nachrichten (hier auf der englischen Seite) stehen dann nur noch beziehungslos da. Es gibt keine Verbindung zwischen den Nutzern, und es gibt auch keinen Grund, zu dieser Seite zurückzukehren, bis man die eigene Nachricht erhält – in drei Monaten oder in einem Jahr.

Zielsetzungs-Community

Anders ist es bei 43Things.com, der originellsten Website dieser Art. (Mehr dazu hier.) Zuerst wählt man dort bis zu drei Ziele aus, kurz und bündig, nicht länger als eine SMS. Zum Beispiel: „Ich will Finnisch lernen.“ Die Ziele kann man auf der Liste hin- und herziehen. Jedes Ziel bekommt eine eigene Seite, und auf der kann man dann Blogposts schreiben, wie man vorwärtskommt, und eben eine periodische Erinnerungsmail an sich selbst veranlassen. (Meine eigene kommt alle drei Monate.)

Die Idee ist, dass sich um gemeinsame Ziele (beliebt: „Ich will ein Buch schreiben“) eine Community bildet. Weil fast alle Pseudonyme haben, kennt man sich nicht, aber man kann sich gegenseitig Mut machen (mit „Cheers“, ähnlich wie „Daumen hoch“), kleine Botschaften schicken oder ausdrücklich um Rat fragen. Neuerdings gibt es sogar einen (leeren) YouTube-Kanal für Videos und eine iPhone-App.

Trotzdem bleibt man letztlich auf Eigenmotivation angewiesen; Die englische Version des Dienstes ist zwar einigermaßen belebt, aber soziale Kettenreaktionen kommen auch da selten in Gang. Und auf Deutsch sind es einfach zu wenige Nutzer – es könnte allerdings Sinn machen, als kleine Gruppe gleichzeitig anzufangen.

How is it going? Your former self.

Eine Erinnerung per E-Mail über den Dienst FollowUp.cc.  Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
Eine Erinnerung per E-Mail über den Dienst FollowUp.cc. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

Tatsächlich gibt es noch viel mehr englische „goal setting software“ mit eingebauten Erinnerungsfunktionen. Am einfachsten funktioniert wohl www.followup.cc, das eher als ToDo-Erinnerung gedacht ist. Am meisten empfohlen wird lifetick.com. Schnell wird allerdings aus dem einfachen Vorgang des Sich-ein-Ziel-Setzens dann gleich ein selbstzweckhafter Overkill des Selbstmanagement. Aber Verkrampfung ist hier schädlich, und weniger ist mehr.

Ich mag bei 43Things den spielerischen Ansatz und den lakonischen, aber gutgelaunten Tonfall, mit dem man sich selbst anspricht. Der Vorschlagstext für die Mail an sich selbst lautet eingedeutscht etwa: „Liebes zukünftiges Selbst, ich erinnere dich an das Ziel, dass du dir auf 43Things gesetzt hast: ‚Ich will …‘ Wie geht es dir damit? Herzlich, Dein früheres Selbst.“

Ich kann bestätigen, dass diese knappe Botschaft einen freundlichen Impuls auslöst und dazu beiträgt, das Ziel im Auge zu behalten. Man kann auch lange Briefe schreiben, aber es ist nicht empfehlenswert. Der amerikanische Stil der Selbstmotivation ist bewusst oberflächlich, es geht nicht um Selbstbespiegelung, sondern um greifbare und machbare nächste Schritte. (Vergleichbar mit der Getting Things Done-Methode, siehe den pb21-Artikel Digitale Arbeitsorganisation.)

Trotzdem sollte man zur Entkrampfung Bertolts Brechts Gassenhauer, das „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“, immer im Ohr behalten. Und Samuel Becketts Maxime: „Immer probiert. Immer gescheitert. Egal. Probiers weiter. Scheitere weiter. Scheitere besser.“


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Maertin Lindner berät Organisationen und Unternehmen dabei, wie sie Wissens- und Lernprozesse mit den Mitteln des Web neu gestalten können. Autor, Blogger, Speaker.