Welche Kompetenzen braucht politische Bildung 2.0?

Uni Aachen StudentInnen
Foto von Guido Brombach unter CC BY 3.0 DE.

„Die digitalen Medien können eine kontrollierte Operation am Herzen der Demokratie ermöglichen“ – Was in der Demokratie im digitalen Zeitalter für Bürger und politische Bildner wichtig ist.

In der politischen Bildung geht es schon lange nicht mehr nur um die Vermittlung von Inhalten und Fakten, sondern auch um die Vermittlung von Kompetenzen, die die Bürger befähigen, die Demokratie zu gestalten. Die Demokratie im digitalen Zeitalter verändert die Anforderungen an die politischen Bildnerinnen und Bildner, meint Guido Brombach, Bildungsreferent des DGB Bildungswerk.

Der Artikel möchte ausgehend von der Herausforderungen, die Demokratie an ihre Bürgerinnen und Bürger stellt, die benötigten Kompetenzen von politischen Bildnerinnen und Bildnern ableiten. Da es um den Erwerb von Kompetenzen gehen soll, sind sie nur in einer alltagsrelevanten, praktischen politischen Bildung zu vermitteln. Nur im praktischen Tun, bei der Produktion eines Seminarergebnisses, einem Beitrag zum öffentlichen Diskurs oder der Lösung eines Problems, also beim Projektlernen können solche Kompetenzen erworben werden.

Für die politische Bildung bedeutet das nicht nur Anschauen eines gesellschaftlichen Missstandes mit anschließender Urteilsbildung, sondern auch das Erarbeiten und Abarbeiten von Lösungen wie z.B. das Anschreiben des entsprechenden Abgeordneten oder der öffentliche Auseinandersetzung zu einem Thema in einem Blogbeitrag. Politische Bildung darf nicht länger nur auf die Partizipation vorbereiten, sondern muss sie in den Bildungsprozess integrieren, weil sie durch die digitalen Netze direkter geworden ist. Bereits die Recherche zu einem Thema verbindet sich eng mit einer politischen Botschaft gegenüber den „Anderen“. Facebook zum Beispiel zeigt in seinen Gruppen an, wer einen Artikel gelesen hat.

Der demokratische Bürger in der durch digitale Netze bestimmten Gesellschaft braucht deshalb erweiterte Kompetenzen, um sich in der Internetöffentlichkeit Gehör zu verschaffen und die gesellschaftlichen Belange artikulieren und mitgestalten zu können.

Was muss der mündige Bürger können, um die Demokratie mitgestalten zu können?

Politische Bildung sollte kollaborative Kompetenzen schulen. Einzelkämpfer gibt es in den digitalen Netzen kaum, in der Regel hat man es mit Bündnissen zu tun. Deshalb müssen Positionen gemeinschaftlich entwickelt werden. Im Internet sind eine Reihe von Werkzeugen zu finden, die bei der Erarbeitung von Positionen helfen können (Etherpads, onlinebasierte Officepakete). Die kollaborative Erarbeitung von Positionen setzt die Fähigkeit voraus, Anderen gegenüber Kritik zu formulieren, aber auch Kritik von anderen zu verarbeiten um sicherzustellen, das die veröffentlichte Position von allen Autoren geteilt werden kann. Die Veröffentlichung von Unterrichts- und Seminarergebnissen ermöglicht politischer Bildung, Partizipation nicht nur zu simulieren, sondern Teil des gesellschaftlichen Diskurses zu werden.

Damit verbunden ist die Vermittlung der Kompetenz im Umgang mit neuen Öffentlichkeiten. So lange sich politische Bildung als Ort der Erprobung politischer Argumentationen versteht, ist eine anonyme Veröffentlichung der Ergebnisse der Nichtveröffentlichung vorzuziehen. Die entsprechende Auseinandersetzung ist aber im Seminar zu führen. Damit ist die grundlegende Frage verbunden, wie und ob bei der Einmischung in politische Diskurse Verantwortung von jedem einzelnen Bürger abzuverlangen ist. Die Veröffentlichung des Erarbeiteten im Internet wird kein entscheidungsscheues „muss ja jeder selber wissen“ – möglich machen. Die Auseinandersetzung muss also im Seminar zu Ende geführt werden. Die anschließende Veröffentlichung ist dann das Ergebnis des gemeinsam verhandelten Prozesses, eine Art größter gemeinsamer Nenner. Die Veröffentlichung selbst sorgt für die nötige Ernsthaftigkeit des Anliegens.

Ziel der politischen Bildung sollte der Autodidakt sein. Damit ist kein in sich gekehrter Selbstlernender gemeint, sondern der Bürger, der sich aus eigenem Antrieb mit anderen zusammenschließt, um die Gesellschaft mitzugestalten.

Die Zeiten der drei Fernsehprogramme und zwei Zeitungen ist vorüber, nun kann jeder Mensch ins Internet schreiben. Die klassischen Gatekeeper verlieren dadurch an Definitionsmacht. Zu jedem im Netz recherchierten politischen Thema wird man auch immer die entsprechende Gegenposition finden. Gleichzeitig steigt aber die Pflicht, die Informationen vor dem Hintergrund verfolgter Interessen zu hinterfragen.

Der damit verbundenen Informationsflut ist nur mit der Aneignung einer Filterkompetenz zu begegnen. Aber es geht nicht nur um die Unterscheidung in wichtige und unwichtige Informationen, sondern auch um die Kenntnis der im Internet bereitgestellten und konfigurierbaren Werkzeuge zur Beherrschung des Informationsstroms wie z.B. RSS-Feeds.

Im Internet werden zunehmend Statistiken vor allem vom Staat veröffentlicht (Open Data), die eine Analyse von Rohdaten ermöglicht. Damit können Primärquellen für die politische Argumentation erarbeitet werden. Der Umgang mit Daten und das Lesen von Statistiken ist ebenso wichtig, wie die Beschäftigung mit textbasierten Quellen. Das statistische Bundesamt zum Beispiel stellt jedes Jahr viele tausend Datensätze auf ihrer Website zur freien Verfügung. Politische Bildung kann hier aufs Engste fächerübergreifend mit dem Fach Mathematik verbunden werden.

Wenn am Ende des politischen Bildungsseminars ein Ergebnis stehen soll, brauchen die Teilnehmenden Kompetenzen zur Präsentation dieser Ergebnisse. Sie müssen zu Autorinnen und Autoren werden. Die im Internet zu findenden Werkzeuge helfen dabei, Informationen im Zusammenhang darzustellen und es dabei gut aussehen zu lassen. Beispiele dafür sind Dipity, ein Werkzeug um Ereignisse chronologisch auf einem Zeitstrahl abzubilden oder Animoto, mit dem auf der Basis von Bildern Videos erstellt werden können, die ein diskutiertes Problem im Seminar aufreissen oder Positionen gegenüberstellen. Die Aufbereitung der Informationen zu einem Ergebnis ermöglicht eine generalisierende Auseinandersetzung mit den einzelnen Diskussionssträngen. Die Teilnehmenden stellen nicht additiv Seminarinhalte vor, sondern müssen nach Gemeinsamkeiten und Bezügen suchen, also Informationen zu Wissen verknüpfen.

Was müssen politische Bildner können, um eine Partizipationskultur zu fördern?

Wer obengenannte Kompetenzen vermitteln will, muss Lernangebote machen, in denen die Teilnehmenden nicht für sich lernen, sondern miteinander ein Projekt erarbeiten. Dabei sind die digitalen Netze und browserbasierten Anwendungen für die Planung, Durchführung und Präsentation politischer Bildungsprojekte hilfreiche Unterstützer. Es wird vorausgesetzt, dass die inhaltlichen Expertisen des politisch Bildenden nach wie vor die Grundlage der Bildungsarbeit sind. Darüber hinaus sollen eine Reihe weiterer Fähigkeiten benannt werden.

Nur wenn der Lehrende wie selbstverständlich digitale Werkzeuge in der täglichen Arbeit verwendet, werden sich auch sinnvolle Einsatzszenarien in der täglichen Bildungsarbeit erschließen lassen. Wenn zum Beispiel mit Evernote oder Diigo thematische Hintergrundartikel vom Referierenden gesammelt werden, können sie auch einfach zu Materialpools für die Teilnehmenden zusammengestellt werden. D.h. der Lehrende könnte seine eigene Informationsbasis den Teilnehmenden zur Verfügung stellen.

Der Lehrende, der digitale Medien in die Bildungsarbeit einbetten will, muss experimentierfreudig sein. Welche digitalen Werkzeuge für die gemeinsame Bearbeitung von Projekten wichtig ist, hängt von der Ausgestaltung der Teilnehmenden ab. Viele Variablen sorgen also für nicht planbare Phasen. Für den Bildungsprozess bedeutet das Kontrollverlust.

Der Bildungsreferent muss für ein mögliches Projekt begeistern können, um im Laufe der Umsetzung die Gruppe motivieren zu können, auch nach Rückschlägen weiterzumachen. Im Zweifel hat er einen Plan B zur Hand.

Der politische Bildner muss geplante Projekte coachen. Ausserdem muss er sicherstellen, dass sie bis zum Seminarende umgesetzt werden können. D.h. er muss die Gruppe vor dem Scheitern des Projektes bewahren. Deshalb muss er als Projektmanager die Zeit, und die zu erledigenden Aufgaben im Blick haben. Er muss in Diskursen moderieren und Kompromisse organisieren.

Der Lehrende sollte ein Expertennetzwerk um sich herum organisieren, um bei der Erschließung neuer Themen oder auch während eines Seminars per Skype, Google Hangout und Co. darauf zurückgreifen zu können. Twitter, Facebook oder auch Xing sind hilfereiche Werkzeuge, das Netzwerk auch spontan anzusprechen. Bei Bedarf kann er Kontakte aus diesem Netzwerk auch an die Teilnehmenden weitervermitteln, um sie bei der Erarbeitung ihres Projektes zu unterstützen.

Ebenso wichtig wie inhaltliche Expertise ist in projektorientierten Bildungsprozessen die pädagogische Expertise der Bildungsreferenten. Idealerweise vereint der politische Bildner beide Fähigkeiten.

Fazit

Um Menschen das Lesen beizubringen reicht es nicht, sie mit 50 Büchern in einem Raum zurückzulassen. Ähnlich verhält es sich mit der politischen Partizipation. Die Erarbeitung der obengenannten Kompetenzen muss vorrangiges Ziel der politischen Bildung werden, die digitalen Medien können dabei eine kontrollierte Operation am Herzen der Demokratie ermöglichen.

Motor von Partizipation ist auch das Internet, wobei sich die Nutzung des Netzes heute schon lange nicht mehr darauf reduzieren lässt, Informationen zu aggregieren und zu interpretieren. Im Internet wurden eine Reihe an Diensten entwickelt, die den direkten Kontakt zu den politischen Akteuren ermöglichen. Dazu gehören unter anderem Online-Petitionen des Deutschen Bundestages, abgeordnetenwatch.de oder Frag-den-Staat. Werden solche Angebote in die politische Bildung integriert, wird politische Bildungsarbeit in der Öffentlichkeit sichtbar und zu einem Motivator für den netzgestützten Demokratienutzer. Politische Bildung wird damit zum Lernort und gibt gleichermaßen Raum zum Coaching für politische Partizipation.

Mit Sicherheit gibt es viele weitere Anforderungen, die politische Bildner einlösen sollten. Für Ergänzungen in den Kommentaren ist der Autor daher dankbar.


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Guido Brombach arbeitet als Bildungsreferent für das DGB Bildungswerk. Dort ist er verantwortlich für den Bereich Digitale Kommunikation, Lernen und Medien. Er bemüht sich um die Harmonisierung zwischen der analogen und der digitalen Welt.