YouTube als Netzwerk – ein geführter Rundgang durch die Lebenswelt von Jugendlichen

Foto „YouTubeGeneration“ von <a title="Zum flickr-Profil" href="http://www.flickr.com/photos/jonasb/2518328387/">Jonas Bengtsson</a> unter <a title="Zum Lizenztext" href="https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/">CC BY 2.0</a>.
Foto „YouTubeGeneration“ von Jonas Bengtsson unter CC BY 2.0.

Das Internet ohne YouTube? Für viele Menschen ist das kaum noch vorstellbar. Die Plattform, erst 2005 gegründet, ist häufig Anlaufstelle Nummer 1, wenn es um Informationen oder Unterhaltung geht. Aber YouTube ist viel mehr. Für Jugendliche hat sich hier ein wichtiger Raum entwickelt – als soziales Netzwerk, als Bühne, als Kommunikationsraum, als Marktplatz – kurz: ein Stück Lebenswelt, der auch Bildungsraum ist.

Für pb21.de hat sich der Medienpädagoge Daniel Seitz auf einen Rundgang durch YouTube begeben. Seine zentrale Erkenntnis: Jugendliche nutzen die Plattform ganz anders als Erwachsene.


In den letzten Wochen habe ich gelernt, dass Banken Zuhälter seien (stoersender.tv), was Jugendliche von Waffen aus 3D-Druckern halten (LeFloid) und bekam einen eindrucksvollen Einblick in das Leben eines Heroin-Abhängigen (Shore, Stein, Papier). Quelle? YouTube.

YouTube ist ein soziales Netzwerk

Wenn Jugendliche auf YouTube gehen, loggen sie sich ein, checken, welche Abrufzahlen hinter ihren letzten Videos stehen oder, wenn sie nicht selbst produzieren, zumindest, was sich in den abonnierten Kanälen getan hat und wer auf ihre Comments reagiert hat. Dann wird fleissig geliked oder disliked (im Gegensatz zu Facebook ist das hier möglich), Kommentare unter den neuesten Videos der Lieblings-YouTuber abgegeben und eigene Playlists zusammengestellt.

Wenn Erwachsene auf YouTube gehen, kommen sie meistens von Facebook oder Twitter, in dem sie einem Link eines „Freundes“ folgen. Das verlinkte Video wird angeschaut, danach wird das YouTube-Fenster wieder geschlossen und auf Facebook bzw. Twitter weitergesurft. Die sozialen Funktionen von YouTube werden nicht wahrgenommen, ebenso wenig die Möglichkeiten, aktiv Inhalte einzustellen oder zumindest die Inhalte anderer durch Playlists etc. zu kuratieren.
(Diese Gegenüberstellung stimmt in dieser Eindeutigkeit natürlich nicht, dennoch kann ich diese Tendenz sehr häufig beobachten.)

YouTube ist eine große Bühne

Wer sind eigentlich diese YouTuber? Ähnlich wie die „Netz-Gemeinde“ gibt es diese natürlich nicht, zumindest nicht, wenn man von einer festen Gruppe sprechen mag. Um aber das Phänomen persönlicher Angebote auf YouTube zu beschreiben, funktioniert der Begriff YouTuber ganz gut. Es geht um (meist) junge Menschen, die sich über viele Jahre eine große Fan-Gemeinde (Abonnenten auf YouTube) aufgebaut haben. Erst Ende letzten Jahres hat es der erste deutsche YouTube-Channel, YTitty, geschafft, die eine Millionen Abonnenten-Marke zu durchbrechen. Stand heute sind sie bei mehr als 1,5 Millionen, was den Wachstum auf der Videoplattform ganz gut beschreibt. YTitty sind drei Jungs, die seit mittlerweile sieben Jahren einen Comedy-Channel aufbauen. Berühmt sind sie für ihre Song-Parodien bekannter Künstler. Inzwischen gibt es zahlreiche erfolgreiche YouTuber, wenn man sie an Zahlen messen will – und Abonnenten und Anzahl der Video-Views sind die Währung auf YouTube. YouTube lernt man am besten auf YouTube selbst kennen, deswegen gibt es dazu eine Playlist, die die erfolgreichsten und mit die spannendsten Kanäle im Rundgang präsentiert:

Playlist „youTuber“ von mediale pfade, nicht unter freier Lizenz.

In der Liste wird sehr deutlich, wie vielfältig die Themen sind. Es geht erstmal um Unterhaltung, viele Comedy-Kanäle sind sehr erfolgreich. Daneben gibt es die ganze Bandbreite der Alltagsthemen – vom hochpolitischen Newskanal „LeFloid“ bis hin zum Schmink-Channel (männlich wie weiblich).

YouTube ist ein Kommunikationsraum

YouTube ist ein höchst selbstreflexives Medium, das zeigt die starke Ausrichtung vieler Channels auf einzelne Personen und deren Themen. Neben den Stars gibt es zehntausende Kanäle, deren Glanz sich nicht aus den hohen Zahlen sondern vielmehr aus den speziellen Themen, den Selbstreflexionen der Jugendlichen und der Bewältigung von Alltagsthemen speist.

Video „Dinge die man beim ersten Date nicht tun sollte (Videoantwort)“ von Tommy Toalingling, nicht unter freier Lizenz.

Tommy Toalingling, Preisträger des Sonderpreises Online Vernetzt beim Deutschen Multimediapreis MB21, zeigt hier auf ironische Art, wie es nicht geht. In einem anderen Video hat er bereits von seinem Coming-Out berichtet und so tausend anderen Jugendlichen geholfen, diesen nach wie vor schweren Schritt zu gehen. Sein Preisgeld hat er eingesetzt, um Abonnenten, die ihn angeschrieben haben, zu besuchen und sie bei diesem Schritt zu unterstützen.
Dies ist nur eine zahlreicher Geschichten, die aufzeigen, wie echt die Kommunikation auf YouTube und wie eng die Bindungen werden können.

Der rot markierte Bereich wurde aufgrund zu vieler negativer Bewertungen (Daumen runter) ausgeblendet und muss aktiv eingeblendet werden. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
Der rot markierte Bereich wurde aufgrund zu vieler negativer Bewertungen (Daumen runter) ausgeblendet und muss aktiv eingeblendet werden. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

„Haters gonna Hate“ ist eine alte Binsenweisheit auf der Plattform. Wer nur selten in die Kommentare schaut, wird abgeschreckt, welcher Kommunikationsstil hier gepflegt wird. Wer regelmässiger Nutzer ist, weiß darum, überliest die Kommentare oder flagt sie mal eben negativ – so verschwinden diese ganz schnell wieder und müssen erst aktiv wieder angeklickt werden, damit sie gelesen werden können. Das ist Routine für die Nutzer auf YouTube.

YouTube ist überall

Am deutlichsten wird dies, wenn man einen kurzen Blick auf die neuen Kanäle bzw. die Channel Art Guidelines wirft:

Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

Vom großen HD-TV-Bildschirm über Rechner-Bildschirme, Tablets bis hin zum kleinen Smartphone-Bildschirm ist alles berücksichtigt – in einem Design. Es gibt keine Trennung mehr, es geht nicht mehr darum „mobil mitzudenken“ – egal woher die User kommen, egal wie groß ihre Screens sind, sie werden passend bedient.
Zu Beginn noch waren die Videolängen auf 11 bzw. 15 Minuten beschränkt, das ist längst Vergangenheit und selbst 4K (die vierfache Auflösung von HDTV) ist seit Jahren möglich. Der YT-eigene Channel YouTube-Movies beherbergt schon „großes Kino“.
YouTube sollte also auf allen Plattformen, Screen- und Beamergrößen und jeder Nutzungssituation – von mobil bis zur großen Kinoleinwand – ernst genommen werden. Nichts geringeres ist das Ziel von Google.

YouTube ist ein Marktplatz

Häufig wird YouTube als Piraterie-Plattform angesehen, der ständige Streit zwischen GEMA und Google in Deutschland lässt diese Vermutung zu. Zweifelsohne geschehen viele Urheberrechtsverletzung (nach aktuellem Rechtsstand – wie sinnvoll dieser ist, muss an anderer Stelle diskutiert werden), zu welchem absurden Ist-Stand dies führte, zeigt sehr schön diese interaktive Visualisierung:

Unterstützt durch MyVideo. Realisiert von OpenDataCity. Anwendung steht unter CC-BY 3.0.

Satte 61,5% der aktuell beliebtesten 1000 Videos auf YouTube sind für die deutschen Nutzer gesperrt. Natürlich weiß jeder Jugendliche, wie leicht dies zu umgehen ist, dennoch bleibt ein fader Beigeschmack, wenn ein nicht unerheblicher Teil unserer Kultur durch Lizenz-Streitigkeiten unzugänglich gemacht wird.
Doch viel spannender als die alte Urheberrechtsdiskussion ist die Professionalisierung der Akteure auf der Plattform. Schon seit 2008 bietet YouTube erfolgreichen deutschen Channels ein Partner-Programm an. Das bedeutet, vor, während und neben dem Video wird Werbung eingeblendet:

  • als Werbespot, der mindestens 5 Sekunden vor dem Video angeschaut werden muss
  • als Adwords-Einblendung im Video
  • als Werbe-Anzeigen neben den Videos

Wieviel mit der Werbeerlös-Beteiligung durch Google tatsächlich zu verdienen ist, ist ein sehr gut gehütetes Geheimnis – bei den großen Kanälen geht es sicher um deutliche 5stellige Euro-Beträge im Monat.
Diese Professionalisierung treiben auch sogenannte YouTuber-Netzwerke vorran – da sind vor allem Mediakraft und TubeAgency zu nennen. Einen sehr guten Überblick gibt es hier.

Insbesondere Mediakraft kann mit durchaus beeindruckenden Zahlen aufwarten:

Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

Bis hierhin ist alles gut, junge Menschen betreiben leidenschaftlich das, was ihnen Spaß machen. Profis aus TV (wie Christoph Krachten, Gründer von Mediakraft) und Werbung (Boese Entertainment, Künstler-Agentur von YTitty) entdecken junge Talente, fördern diese und bauen eine Einkommensquelle für zahlreiche Dienstleister um die jungen Stars herum auf. Das reicht vom Videocutter über Songschreiber, Kamera- und Licht bis hin zu Marketing und PR.

Mit dieser Professionalisierung ging aber auch eine stärkere Vermarktung einher. So sind gerade Product Placements sehr beliebt, dafür hat YouTube inzwischen auch seine Vermarktungsrichtlinien geöffnet. Wie Mediakraft mit seinen über 160 Kanälen damit umgeht, wurde sehr schön vom NDR beleuchtet – warum dieser Beitrag nicht auf YouTube zu sehen ist, erklärt Daniel Bröckerhoff.

Wie groß der Web-Video-Markt ist und wie sehr sich das auf die Zukunft des TV auswirkt, hat auch die ProSiebenSat.1-Gruppe verstanden und investiert massiv in die Videoplattform myvideo.de – und engagiert reihenweise YouTuber für Live-Sendungen und ab Mitte Mai auch eine erste DokuSoap mit YouTubern (“Mission Housemen”).

YouTube ist ein Bildungsraum

Sehr ausführlich bin ich zum Abschluß auf YouTube als Marktplatz eingegangen, nachdem ich die vielen Chancen von YouTube als jugendkulturellem Raum hervor gehoben habe. Ich denke, YouTube ist gerade noch recht unentdeckt als Handlungsfeld für die (politische) Bildungsarbeit. Dafür bieten sich insbesondere die Möglichkeit des Aufbaus eigener Channels und die zahlreichen Kommunikationsmöglichkeiten an den Orten, wo sich Jugendliche aufhalten, an.
Daneben muss es aber auch zunehmend unsere Aufgabe werden, medienpädogische Themen dort zu platzieren, auf Entwicklungen wie z.B. verstecktes Product Placement hinzuweisen und Jugendliche wie Erwachsene dabei zu unterstützen, professionelle YouTube-Channels zu decodieren: Hinter dem Video, das vermeintlich spontan, mal eben schnell in der Freizeit gedreht wurde, ist längst einer professionellen Produktion mit Marketing- und Erlös-Plänen gewichen.

Dazu ein beispielhaftes Statement eines 17-Jährigen, auf die Frage, ob YouTuber, insbesondere YTitty “geldgeil” seien:

“Ich finde es falsch zu sagen Youtuber seien Geldgeil und machen Sachen nur für das Geld. Youtuber machen das als Hobby und „opfern“ ihre Zeit für die Abonnenten und Youtube. Die ganze Arbeit und die ganze Zeit die für Youtube, drehen, schneiden etc. drauf geht, kann das Youtube Geld nicht wieder rein bringen. Soviel verdienen die damit nicht. Ich finde es richtig das die mindestens eine kleine Vergütung von Youtube bekommen.”

Es wird sehr schnell deutlich, das Jugendliche (und vermutlich viele Erwachsene) die aktuellen Entwicklungen auf YouTube nicht richtig einschätzen können. An belastbarer medienpädagogischer Forschung fehlt es bislang, weswegen ich mich dazu auf bisherige Alltagsbeobachtung beziehen muss.

Ein großartiges Beispiel, wie YouTube sinnvoll als Bildungsplattform genutzt werden kann, liefert die Landeszentrale für politische Bildung NRW:

Video „Rechtsextremismus heute: Zwischen Schnuller und Springerstiefel“ von lzpbnrw, nicht unter freier Lizenz.

pb21 wird sich weiterhin diesem spannenden, relativ neuen Feld widmen – insbesondere dem letzten Aspekt, YouTube als Bildungsraum. Bis dahin können wir uns aber schon von den YouTubern selbst Unterstützung holen. In gewohnt ironischer Weise:

YouTube – Erfolgreich in 5 Schritten

Playlist „Jugendmedienproduktionen“ von mediale pfade, nicht unter freier Lizenz.

Außerdem wird unser Autor Daniel Seitz auch weiterhin spannende Channels und Videos sammeln – dazu kann man einfach regelmässig auf seinem Channel vorbei schauen.


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Der Artikel (Text) auf dieser Seite steht unter der CC BY 3.0 DE Lizenz. Der Name des Autors soll wie folgt genannt werden: Daniel Seitz für pb21.de.
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Daniel Seitz lebt in Berlin, hat Mediale Pfade gegründet und brennt für eine freie, politisierte Gesellschaft, die ihre Verantwortung wahrnimmt. Als Medienpädagoge ist er überzeugt, dass Medienbildung einen wichtigen gesellschaftlichen Anteil zu politischer Teilhabe, Selbstentfaltung und Kreativität leisten kann.