Rezension: nrw-Politik 2.0-App

NRW-App. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
NRW-App. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

Wer ist eigentlich genau damit gemeint, wenn es heißt, „die CDU“ sei für eine bestimmte Sache oder die „Grünen” seien für eine andere? Wer ist die CDU, wer spricht für die Grünen und wer sind [sic!] die SPD? Zwar verfügt die Kanzlerin über die sog. Richtlinienkompetenz [pdf-Dokument], d.h., sie „bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“ (Art. 65 GG), aber das gilt nur für ihr Regierungshandeln. Und wenn da ein/e Minister/in nicht spurt, kann sie sie/ihn entlassen, was ja ab und an geschieht.

Anders sieht es bei Parteimitgliedern oder Parlamentarier/innen aus. Abgeordnete sind allein ihrem Gewissen verantwortlich, und so kann es sein, das Parteimitglieder ihre Führung öffentlich kritisieren und ihr die Gefolgschaft verweigern. In den Medien liest man dann von der „Zerissenheit” einer Partei oder von einem parteiinternen „Richtungsstreit”. Was für den oder die Einzelne lästig erscheinen mag, kann man aber auch als gelebte demokratische (Diskussions-)Kultur verstehen, die auch Ausdruck für die Vielfalt innerhalb einer demokratischen Partei ist.

Ein neues Software-Programm für Handys möchte nun diese Vielzahl an Stimmen (sog. Kakophonie) filtern und dabei helfen, die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der etablierten Parteien besser zu verstehen und sich eine Meinung darüber zu bilden, was einzelne Akteur/innen innerhalb verschiedener Parteien veröffentlichen und wie sie dadurch die „Parteimeinung” erst erzeugen.

Twitter, YouTube und FlickR – in Echtzeit

Die nrw-Politik 2.0-App zeigt Meldungen aus sozialen Netzwerken von Parlamentarier/innen aus Nordrhein-Westfallen an. Man kann nach Land, Bund oder Europa und nach Parteien filtern. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
Die nrw-Politik 2.0-App zeigt Meldungen aus sozialen Netzwerken von Parlamentarier/innen aus Nordrhein-Westfallen an. Man kann nach Land, Bund oder Europa und nach Parteien filtern. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

Die  nrw-Politik 2.0-App, eine sog. App(likaton), die es sowohl für’s iPhone als auch für Android gibt, fasst alle Meldungen von Mitgliedern im

  • Landtag von Nordrhein-Westfalen
  • Deutschen Bundestag (nur MdBs aus NRW) und im
  • Europaparlament (nur MdEPs aus NRW)

zusammen, sofern jemand ein Profil in den sozialen Medien hat und aus Nordrhein-Westfalen kommt. Berücksichtigt werden Twitter-, YouTube- und FlickR-Meldungen. Letzterer ist ein digitaler Bilderdienst: was YouTube für Filme ist, ist FlickR für Bilder.

Dabei werden die Meldungen pro Partei zusammengefasst, man kann also leicht sehen, was liberale oder grüne Politiker/innen im Landtag derzeit veröffentlichen und worin sie sich unterscheiden.  Außerdem kann man sich in einer Themenwolke (Tagcloud) anzeigen lassen, welche Begriffe derzeit besonders häufig vorkommen und auch dies nach Parteien filtern. Ein Klick auf ein aktuell heiß diskutiertes Thema zeigt dann alle Meldungen an, die diesen Begriff enthalten.

Jenseits von offiziellen Pressemeldungen

Spannend wird die Anwendung dann, wenn man sie mit offiziellen Pressemeldung oder Verlautbarungen der Parteien vergleicht bzw. wenn man die Themenwolken der Applikation nutzt. Die Abbildungen 2 und 3 zeigen die am meisten verwendeten Begriff von NRW-Parlamentarier/innen der Regierungskoalition aus SPD und Grünen und der Opposition aus CDU, FDP und der Linken.

Während sich die einen über den Atomausstieg und die bdk11 (Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen) auslassen, twittern die anderen über Griechenland und den Euro. Nur die WestLB scheint ein gemeinsamer Themenschwerpunkt zu sein, vermutlich allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen…

Es sind auch die dabei, die gar nicht dabei sind

Josefine Paul hat seit ihrer Bewerbungsrede nichts mehr im sozialen Web von sich hören lassen. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).
Josefine Paul hat seit ihrer Bewerbungsrede nichts mehr im sozialen Web von sich hören lassen. Screenshot (fällt nicht unter eine freie Lizenz).

Die nrw-Politik 2.0-App verzeichnet alle MdLs, MdBs und MdEPs aus Nordrhein-Westfalen, unabhängig davon, ob sie ein Profil in den sozialen Netzwerken haben oder nicht. Mit aufgeführt wird der Wahlkreis, der Listenplatz, die Website und Profile in StudiVZ, Facebook und Co., sofern es welche gibt.

Immer wieder kommt es vor, dass Dritte im Namen von (un-)geliebten Politiker/innen Fakeprofile anlegen, die man erst auf den zweiten oder dritten Blick entlarven kann. Die App ist hier eine gute Möglichkeit, Web 2.0-Profile zu verifizieren, von denen man sich nicht sicher ist, ob wirklich der/die Politiker/in dahinter steckt: denn alle Profile wurden von der Redaktion von wahl.de überprüft und werden laufend angepasst. Erst dann werden z.B. die Twittermeldungen automatisiert und damit in Echtzeit in den sog. Aktivitäts-Stream integriert.

Fazit

Die  nrw-Politik 2.0-App bietet eine gute Möglichkeit, auch ohne eigenes Profil auf Twitter über die Kurz-Veröffentlichungen von Parlamentarier/innen aus Nordrhein-Westfalen auf dem Laufenden zu bleiben. Mehr noch: Man kann sich leicht einen Überblick verschaffen, worin sich die Themen z.B. der FDP von denen der SPD unterscheiden.

Mögliche Aufgabenstellungen für die Bildungspraxis könnten sein:

  • Worin unterscheiden sich die Verlautbarungen unterschiedlicher Parteigänger/innen zu einem Thema, bspw. der WestLB?
  • Wie wird der politische Gegner in Kurznachrichten der Parlamentarier/innen behandelt? Inwelchem Zusammenhang wird er genannt? Gibt es hier Unterschiede zwischen den Parteien?
  • Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Themenschwerpunkte zwischen Regierungskoalition und Opposition?
Dadurch, dass das Handy samt Applikation einfach „aus der Hostentasche” gezogen werden kann, ist das ein schöne Möglichkeit, Politik und ihre Betrachtung auch an den Stammtisch – oder vielleicht besser: an den Abendbrottisch – zu bringen und das ein oder andere Vorurteil von Politiker/innen bzw. deren Parteien zu überprüfen und ggf. über Bord zu werfen.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch eines: Mitglieder der Parlamente, die auch nach ihrer Bewerbungsrede noch mit ihren Wählerinnen und Wählern kommunizieren wollen…


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Der Artikel (Text) auf dieser Seite steht unter der CC BY 3.0 DE Lizenz. Der Name des Autors soll wie folgt genannt werden: Thomas Rose für pb21.de.
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Thomas Pfeiffer ist Diplom-Pädagoge und Programmierer. Er schrieb die Bücher „Social Media“ und „Mein Kind ist bei Facebook – Tipps für Eltern“. Zudem entwickelt er Facebook-Spiele und programmiert für Blogs und Twitter. Pädagoge erklärt er jungen und alten Menschen das Internet und engagiert sich im Bereich Netzpolitik und Digitaler Wandel. Er bloggt unter http://tomro.seund lebt und arbeitet in München.